Press (2nd Ed. 2017)

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„Sur Ton Dos“ © Justine Berthillot & Frédéri Vernier (Filmstill)

 

In vielen großen und größeren Städten weltweit ist die intermediale Kunstform Screendance, die es seit den 60er-Jahren gibt, heute erfolgreich vertreten. Die in Graz lebende Tänzerin-Choreografin Valentina Moar hat hier für dieses aufstrebende, universelle Ausdrucksmittel und diese spartenübergreifende visuelle Kunst eine Plattform geschaffen.Das erste sehr erfolgreiche, eintägige Festival im vorigen Jahr wurde nun mit einer zweitägigen Veranstaltung fortgesetzt.

Sechs Filme aus Europa wurden 2016 gezeigt, heuer waren es 17 internationale und zum Großteil preisgekrönte Beispiele für Screendancing, ausgewählt aus 60 bei der Ausschreibung eingereichten Filmen.

Kaum etwas in dieser jungen Kunstform ist definiert oder gar etabliert; es gibt auch keinerlei Schulen. Unumstößlich aber ist, dass das Gezeigte „nicht nur“ filmische Dokumentation von Bühnentanz ist. Vielmehr ist es ein kreatives Zusammenspiel von vor allem visuellen Medien; und dies auf Augenhöhe. Es ist ein Dialog von Kamera und Körper, der in dieser Weise, in dieser Form auf keiner Bühne realisierbar und auch nicht rezipierbar wäre; möglicherweise ergänzt durch mediale Verfremdung; und somit umgesetzt in und mit einer diesem Genre eigenen, nur in diesem zu verwirklichenden Ästhetik.

Eine qualitativ fundierte Auswahl zu treffen, war für die künstlerische Leiterin Valentina Moar kein Leichtes. Hilfreich dabei vor allem, dass sie neben Qualitätsvollem die künstlerische Offenheit und Experimentierbereitschaft sowie die Weite der Interpretationsmöglichkeiten dieser Kunstform vor Augen führen wollte. Eine Intention, die ihr neben einem anregenden Einblick in diese kulturenübergreifende Sprache, die Moar als „Esperanto des Kinos“ bezeichnet, zweifellos gelang.

„Echo“ (Filmstill) © Nicola Hepp

Ein herausragendes Beispiel für Experimentelles ist der italienische Kurzfilm „Liquid Path“ (4‘) von Filomena Rusciano: Ein choreographierter Tanz von leichtfüßigen Linien ist es, der sich durch Bewegung hinter Glas manifestiert, hie und da ersetzt oder ergänzt durch kraftvoll Gezeichnetes. Ein Bewegungsrausch in der Vertikalen ist im französischen Kurzfilm (4‘37‘‘) „Aria“ von Azzurra Lugari & Odile Gheysens zu erleben: Das Thema der Loslösung, insbesondere vom Boden, präsentiert sich spektakulär, allerdings kaum darüber hinaus. Im Gegensatz dazu formuliert der holländische Kürzest-Film (1‘21‘‘) „Echo“ von Nicola Hepp das facettenreiche Thema des Alterns zusammengefasst in wenigen kleinen Bewegungen und mit zarter Mimik sowie einem einzigen Schnitt; ein Gustostückerl für Minimalisten. Ein Zu-Viel charakterisiert hingegen die Arbeit der in Graz lebenden Challyce Brogdon in ihrem mit Xianghui Zeng getanzten Film „Making it work“. Dieses „Übermaß“ bezieht sich nicht nur auf die Filmlänge (17‘’18), sondern auch auf die Wiederholungen im Tänzerischen so wie auf die überdeutliche Auseinandersetzung mit dem Thema; so manch Einzelszene ist aber gleichermaßen fein wie kreativ und daher wäre eine Überarbeitung, auch in aufnahmetechnischer Hinsicht, eine Möglichkeit. Der hochdramatische Film „Jilava“ von John T. Williams (USA) erzählt eher naturalistisch und nahezu dokumentarisch eine große Story – was dabei bereits unter „Kitsch“ fällt, ist – wie oft – verhandelbar. Sehr feinfühlig hingegen in Bewegung und Filmtechnik „In Side Out“ (9‘20‘‘, UK/IT) von Fenia Kotsopoulou: Es sind unbeachtete (Zwischen-)-Räume, die hier in bester Cinedance-Manier sichtbar gemacht werden. Der „special-guest-film“ des ersten Tages, „Incident at Chekhov Creek“ (19’26‘‘, USA) von Marta Renzi entließ das Publikum mit einem gleichermaßen tiefemotionalen wie intellektuell ansprechenden Bilderrausch.

Gilberto González Guerra in „Pintado De Tiempo“ © Shawna M. Tavsky

Mit ihrer strengen formalen Härte treibt die Griechin Aliki Chiotaki in „60 Pulses“ den Puls des Zusehers an; nimmt ihn, unterstützt von dynamischer Aufnahmetechnik, kompromisslos mit auf ihrer Suche nach Veränderung mittels Bewegung. Mit gänzlich anderer formaler Kargheit konfrontiert Galen Bremer in der europäischen Erstaufführung von „Know You“ (4‘14‘‘, USA): Ein bemerkenswertes Beispiel für abstrakten Screendance. Etwas, was in wunderbar poetischer Ausformung auch für den auf ungewöhnlicher Schattenspiel-Technik fußenden, mexikanischen Beitrag „Pintado De Tiempo“ (4‘46‘‘) gilt: ein bezaubernder Gruß aus einer anderen Welt. Konzeptuell interessant die nüchterne thematische Auseinandersetzung mit der Frage nach Identitätskriterien in der völlig unspektakulär choreographierten italienischen Produktion „Francesche“ (13‘25‘‘), die in dieser Länge allerdings letztlich durchhängt. Eine ausgeprägte Eigenheit in der filmischen wie bewegungstechnischen Bildsprache überzeugt im ruhigen Schwarz-Weiß der musiklosen belgischen Produktion „Vecinas“ von Natalia Sardi.

Als special-guest-film wurde das außergewöhnliche norwegische Filmprojekt des international gefragten Tänzer-Choreographen und Leiters der Frikar dance company Hallgrim Hansegård gezeigt:„8 Møter“ (26‘39‘‘). Ein beeindruckendes Aufzeigen der Gemeinsamkeiten von Bewegungskunst zwischen chinesischen Mönchen und westlichen Tänzern mit traditionellen Tanzwurzeln ihrer Region. Hallgrim stand dann auch für ein das Festival abschließendes Podiumsgespräch mit lebendiger Projektschilderung zur Verfügung.

Frikar dance company „8 Møter“ (Filmstill) © Hallgrim Hansegård

Außerdem präsentierte am Podium ihre Gedanken zum Festival und Beurteilungskriterien auch Sarah Taylor (AUS), gemeinsam mit Giuseppe Domingo Romano (IT) Mitglied der Jury des erstmals vergebenen.

Dance on Screen Awards

Selbst wenn allgemeingültige Qualitätskriterien (noch) nicht klar zu definieren sind, seien, wie Taylor berichtete, die Juroren auf ein nahezu deckungsgleiches Ergebnis gekommen:

Eine „special mention“ vergaben sie an die Uraufführung der Masterarbeit von Antonne Santiagos „Juane and the Sacred Shores“ (18‘‘, Phil.), eine Allegorie des Postkolonialismus‘. Die Arbeit zeichnet so manches an gelungener Detailarbeit aus sowie die Bildersprache; an der spezifischen Kraft von Dancescreening kann und sollte jedoch noch gearbeitet werden, meint die Autorin.

Der Dance on Screen Award 2017 ging an „Sur Ton Dos“ (5‘07‘‘) von Justine Berthillot & Frédéri Vernier aus Frankreich mit der Begründung einer großen Kraft der Bilder und eines gut greifenden Konzepts, das bei aller Einfachheit das Thema zweier Menschen, die einander Stütze sind, vermittle.

Dance on Screen Festival, 28. und 29. Jänner 2017 im Filmzentrum Rechbauerkino

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